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Ein Schulmeister darf keinen Hirtenlohn bekommen

Es war im Jahre 1824 als, Wilhelm Kühn geboren 1800 in Bürbach, mit seinem Tagebuch begann. Er ging nach Nauholz im Kirchspiel Netphen, wo er sich beim Schulvorstand als zukünftiger Schulmeister bewerben tat. Erstmals kurz vor 1300 wurde Nauholz urkundlich erwähnt. In den 1960er Jahren wurde der Ort aufgelöst, da er der Obernautalsperre weichen musste. Der Ort hatte im Jahre 1961, 148 Einwohner. Der Schulvorstand sagte ihm, dass es ihnen schon recht sei, wenn er die Stelle bekäme. Sein Vorgänger hatte jährlich 12 Taler bekommen, ihm bot man 15 jährlich an. Die Kost mit Logis sollte er im Reihenumgang bekommen, was er sich aber nachher doch mühsam verdienen musste.

Alte Dorfansicht von Nauholz Ende der 50er Jahre
Alte Dorfansicht von Nauholz Ende der 50er Jahre

Der Vertrag wurde geschlossen worauf er nach Ferndorf zum Schulinspektor Achenbach musste um eine Prüfung zu machen. Die königliche Regierung in Arnsberg sah ihn für fähig an, die Schule in Nauholz zu verwalten. Er war der zweite Lehrer, nachdem die neue Schule gebaut war. Im Jahre 1822 hatte die Gemeinde die neue Schule bauen lassen. Sie war von Pfarrer Hampe mit einer bemerkenswerten Predigt eingeweiht worden. Er versprach auch einen tüchtigen Lehrer zu suchen. Er nahm den Hirtenjunge als Lehrer, der aber ein ausgezeichneter Konfirmand war. Sobald er ihn konfirmiert hatte, stelle er ihn als Lehrer ein. Dieser hatte die Schule in ein gutes Licht gerückt. Bis dahin fand die Schule nur im Winterhalbjahr statt. Von Michaeli bis Ostern, also vom Einstellen bis Austreiben des Viehes hatte der Hirtenjunge die Schule gehalten. Sie wurde nach dem Reihenumgang gehalten und da wo er an der Kost war wurde auch die Schule gehalten. Für dieses halbe Jahr hatte ihm die Gemeinde einen Krontaler vergütet.

Mit einer Amtsmiene ging Wilhelm Kühn am anderen Morgen in die Schule und redete die Schulkinder folgendermaßen an: "Liebe Kinder, was wollt ihr von mir? Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist? So fragte Paules einst, so frage ich euch jetzt, wo ich euch zum ersten Mal sehe und als meine künftigen Schüler begrüße. Ich lese es aber schon aus euren Gesichtern, euer Wunsch ist der mit Liebe und sanftmütigem Geist?" Die Antwort war: "Ja." "Nun das ist auch mein Wille. Es sollte mir von Herzen leid tun, wenn ich jemals eine Rute bei euch anwenden müsste. Ich habe euch alle herzlich lieb. Sollten aber halsstarrige Schüler unter euch sein, die sollen es fühlen, wie ich die Rute zu handhaben weiß."

Das verfallene Gebäude gehörte der Wandervogel-Bewegung. Es wurde als erstes Gebäude 1965 abgebrannt.
Das verfallene Gebäude gehörte der Wandervogel-Bewegung. Es wurde als erstes Gebäude 1965 abgebrannt.

Er fühlte sich glücklich, wenn er die 16 Kinder um sich hatte, denn er war Schulmeister aus Leidenschaft. Die Kinder besuchten im Winter regelmäßig die Schule und lernten, dass es eine Freude war. Die Eltern wussten es zu würdigen denn die Kinder brachten ihm öfters Waffeln mit, manche sogar mit Butter beschmiert. Sein Vorgänger war lange nicht so verwöhnt worden. Die Kinder hingen bald mit Liebe an ihm, dass er sich nichts besseres wünschte. Er fühlte es bewahrheitet, was er schon öfters gehört hatte. Je weiter von Siegen das Siegtal hinauf desto gesitteter, höflicher, artiger und gehorsamer sind die Kinder in der Schule. Er hätte lauter Apostel aus ihnen machen können. Aber die Schule war nur Nebensache.

Wunderbare Fachwerkhäuser hatte Nauholz
Wunderbare Fachwerkhäuser hatte Nauholz

"Du musst nun etwa vier Wochen lang morgens um 1 Uhr aufstehen um beim Dreschen zu helfen," sagte man ihm. Am nächsten Morgen wurde er schon sehr früh von seinem Schlafkamerad geweckt. „Schulmeister es ist Zeit du musst aufstehen.“ Im nu waren sie alle an Ort und Stelle, es war gerade ein Uhr. Bis acht Uhr wurde nun ununterbrochen gedroschen. Dann reinigte er sich vom Spreu, frühstückte und ging sofort in die Schule. So ging es bis alle vom Dorf gedroschen hatten. Gespannt war er was man ihm nun nach der Schulzeit für Aufgaben geben würde. Er musste nun jeden Abend einen Eimer Kartoffeln schälen.

Backes im Nauholzer Oberdorf im Jahre 1964
Backes im Nauholzer Oberdorf im Jahre 1964

Im Frühjahr musste er, wenn er einige Stunden Schule gehalten hatte, immer mit dem Beil im Hauberg erscheinen um die Bäume zu fällen. Aber auch beim ansetzen des Meilers musste er behilflich sein. Nun kam die Heuernte, bei der er auch helfen musste. Sehr früh musste er mit der Sense auf die Wiese und Mähen, dann kam der Rechen an die Reihe und sie waren manchmal bis 19 Uhr auf der Wiese. Die Kost und die Logis musste er sich doch nach der Schulzeit mühsam verdienen.

Er brauchte dringend eine Ruhepause um sich von all den Strapazen zu erholen. Er hatte Glück denn seine jetzige Hauswirtin und ihre verheiratete Tochter waren beide in gesegneten Umständen. Bereits acht Tage nach der Geburt nahm er den erstgeborenen Jungen liebevoll an. Er gewöhnte dem Knaben an das Wiegen so sehr, dass der Junge ohne Wiegen nicht mehr zur Ruhe kam. Er gab dem Jungen die Milch, reinigte und wickelte ihn, was er in kurzer Zeit geschickt verrichten konnte. Er konnte den ganzen Tag bei der Wiege sitzen und sich wieder richtig erholen. Die Großmutter gab auf den anderen Säugling acht. Wenn sie was zu erledigen hatte, musste er da jedes Kind eine Wiege hatte, zwei Wiegen im Gange halte.

Eines Abends fragte ihn der Hauswirt: "Schulmeister kannst du auch Besen binden?" "Nein", war die Antwort. "Dann kannst du es von unserem Hannes lernen." Ohne zu murren probierte er es. Am ersten Abend klappte es noch nicht. Aber am zweiten Abend klappte es schon besser und am dritten Abend band er die Besen fast so gut wie Hannes. Der Nauholzer Förster, bei dem immer einige Tagelöhner waren, hatte eine eigenartige Angewohnheit. Am Kopfende eines langen Tisches saß er und zerkleinerte gebratenes Fleisch mit bloßen Händen ohne Teller, Messer und Gabel. Hatte er ein Stück abgerissen so rief er den Namen für den es bestimmt war. Er warf es zu diesem, der es dann fangen musste und es aus den Händen essen. War er schlecht im Fangen erhaschten es die darauf lauernden Hunde.

Warmer Abriss von Nauholz in den 1960er Jahren
Warmer Abriss von Nauholz in den 1960er Jahren

Der Hausmutter kam er manchmal zu früh und musste noch einiges erledigen, wenn er ein Frühstück haben wollte. Eine Mutter sagte in der Regel: „Schulmeister nimm den Besen und kehre die Stube und den Ern, dann wasche die Teller, in der Zeit ich Kaffee koche.“ Es war ein guter Kaffee und er bekam auch öfters ein Stück Zucker, der seinerzeit sehr teuer war. Oft musste er auch das Feuer schürfen und manchmal die Butter kirnen. So hatte jeder eine Tätigkeit für ihn. Kam er mittags nach Hause und es war keiner da wusste er wo der Haustürschlüssel war. Er holte sich dann den schon gekochten Brei aus dem Bett und konnte ihn nach Herzenslust essen.

Die Obernautalsperre, im Vordergrund ist der Entnahmeturm
Die Obernautalsperre, im Vordergrund ist der Entnahmeturm

Als das erste Jahr als Schulmeister bald zu Ende ging kam der Schulvorstand nach ihm und sagte, dass sie sehr zufrieden seien mit ihm und er sollte doch noch ein Jahr bleiben. Er willigte ein, wünschte aber eine Zulage. Man fragte ihn wieviel Lohn er denn für das nächste Schuljahr haben wolle? Er zögerte nicht lange und forderte 20 Taler. Schnell sagte man ihm: "So viel bekommt ja unser Hirte. Ein Schulmeister darf doch keinen Hirtenlohn verlangen." Er sollte sich fügen und 18 Taler nehmen. Es war schon ein bedeutender Zuwachs von 15 auf 18 Taler. "Nun wohlauf" sagte er, "ihr guten Leute bringt ein schweres Opfer für mich, es soll euch nicht gereuen."

Literaturnachweis:
Alle Bilder sind aus Nauholz lebt - Historie.

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