Sehr früh rappelte der Brühtrog schon durch das Dorf
Vor ¾ Jahrhunderten hätte kein Mensch gedacht, dass sich im Siegerland Gebräuche und Sitten sowie die Arbeitsgewohnheiten so schnell verändert hätten wie es geschehen war. Die Haubergsbewirtschaftung war seinerzeit noch in vollem Gange, man benötigte sehr viel Brennholz. Auch wurde der Rasen gehackt um einen abgetriebenen Haubergsschlag für ein Jahr mit Roggen zu bestellen. Im Mai schälte man die Eichenbäumchen um die Rinde getrocknet den Gerbern als Gerbstoff zuzuführen.
Das Schwein wird aus dem Stall geholt
Jeder Quadratmeter Ackerland wurde bearbeitet, der heute längst vom Unkraut überwuchert war. Um die Not zu lindern hielt man Haustiere so viel man unterbringen konnte. Damals gab es im Siegerland etwa 15.000 Ziegen, heute dagegen muss man sie schon suchen. Aber auch mit den Schweinen, dem Federvieh und Kühen war es ähnlich. Die Zeit ist schon gekommen, in der man die in den Kriegs- und Nachkriegszeiten hochgeschätzten Schweine und Ziegen, wenn man sie sehen wollte, in den zoologischen Gärten bewundern musste.
Das Schwein liegt im Brühtrog - Bild: grillsportverein.de
Die jungen Menschen wissen nicht wie es früher im Spätherst und in den ersten Wintermonaten mit den Hausschlachtungen zu ging. Meistens wurde das Schweineschlachten auf dem Land vom Hirten besorgt, da er in der kalten Jahreszeit keine Rinder und Kühe mehr zu hüten hatte. Aber es gab auch Bekannte, die sich das Schlachten angeeignet hatten. In der Hochsaison schlachtete der Hirte, unter Mithilfe von Familienangehörigen mehrere Tiere am Tag. Als Hausschlachtung wurde in Deutschland eine Schlachtung außerhalb gewerblicher Schlachthöfe bezeichnet. In der Regel wurde das Schwein auf dem Hof des Tierbesitzers geschlachtet und das Fleisch nur für den eigenen Haushalt verwendet. Das Schwein war das typische Tier für eine Hausschlachtung. Meistens wurden dazu weibliche Tiere geschlachtet. Schlachtreif waren die Tiere, wenn sie etwa acht Monate alt waren und gut 100 kg wogen.
Es ist an die Leiter gehängt
Schon lange vor 5 Uhr morgens hörte man den Brühtrog, der zum Schlachten benötigt wurde, auf einer Schubkarre durch das Dorf rappeln. Aber auch das laute Schreien der ängstlichen Tiere hörte man bald. Zuerst prüfte der Hirte das Wasser auf seine Temperatur. War es im Waschkessel nicht am Kochen gab es großen Ärger. Dieses war für den Hirten Zeitverlust und nicht selten zog er dann mit seinen Utensilien weiter zum nächsten Kunden. So erteilte er den Familien, die ihren Kessel nicht früh genug angeheizt hatten eine deutliche Lehre. Er konnte es sich erlauben, denn es gab in vielen Orten keinen mehr, der das Schlachtmonopol besaß.
Der Schlachter musste das Tier aus dem Stall treiben. Meistens band er ihm dazu einen Strick um ein Hinterbein. Er drängte sich von Hinten mit einer Gummischürze gegen die Schinken und trieb so die Sau langsam vor sich her. Am Schlachtplatz wurde das Tier mit einem Strick, an einem Ring am Boden, festgebunden. Das Töten geschah früher noch in einer recht brutalen, primitiven Art. Es gab einige Schläge mit schwerer Keule auf den Kopf und das Tier lag da. Manchmal genügte auch ein Schlag. Später wurde hierzu ein Bolzenschußgerät verwendet. Der Schlachter beruhigte das Tier durch streichen am Rücken und Nacken. Wenn es dann ruhig stand wurde das Betäubungsgerät in der Mitte des Kopfes angesetzt und abgedrückt. Nach dem Abzug ging ein Bolzen etwa 10 cm in den Kopf und zerstörte Teile des Gehirns. Das Schwein wurde dadurch betäubt und brach zusammen.
Das Schwein wird auf der Leiter aufgeschlagen - Bild: bauernzeitung.de
Die eigentliche Schlachtung erfolgte nun durch das Abstechen des Tieres. Meistens geschah es bei der Hausschlachtung im Liegen. Beim Abstechen kniete der Schlachter von hinten auf dem Nacken der Sau bis der Hals sich spannte. Zwei bis drei Finger breit vor dem Brustbein setzte er das Stechmesser an und stach in die Gurgel. Richtig war der Stich, wenn das Blut beim herausziehen des Messers hinausschoss. Das austretende Blut wurde meistens aufgefangen und ständig gerührt um eine Gerinnung zu vermeiden. Es wurde später für Blutwurst oder ähnliches verwendet.
Das getötete Tier wurde dann in den Trog gelegt und mit kochendem Wasser übergossen und somit gebrüht, damit sich die Borsten beim Schaben leichter entfernen ließen. Das Schaben überkochend heißem Wasser brachte den Schlachter zwar zum Schwitzen doch mit seiner fachkundigen Hand ging alles schnell. Die Helfer hatten auch ihre Mühe das schwere Borstentier nach allen Seiten zu drehen. Die Bezeichnung Borstenträger verdiente das Tier nun nicht mehr. Längst wurde diese Arbeit in den Schlachthäusern ohne Menschenkraft auf mechanische Weise erledigt.
Es hängt zum kaltwerden offen an der Leiter - Bild: mangalitza.de
Bei uns schlachtete immer der Nachbar W. L., er war ein guter Bekannter von meinem Vater. Wir schlachteten auch schon mal eine junge Ziege dabei, die zur Dauerwurst gut passte. Unser Schlachter war ein rauer Geselle. Wenn man als Kleinkind beim Schlachten zu neugierig war und im Wege stand bekam man auch schon mal ein Schweineauge in die Hosentasche gelegt. Jahrzehnte später wurde ich immer an diese Geschichte erinnert. Unser Nachbar H. F. hatte ein Glasauge. Wenn er in feucht, fröhlicher Runde Skat spielte und nur 60 Augen hatte, drehte er sein Glasauge heraus, legte es zu seinen Karten und sagte: 61 Augen.
Nachdem die Borsten entfernt waren, wurde das Tier an eine kräftige Leiter, die schräg an einem Gebäude stand, an stabilen Sauhaken aufgehängt. Es wurde nun vorne aufgeschnitten bzw. aufgeschlagen. Nachdem die Innereien ausgeräumt waren konnte man die Güte des Fleisches und des Speckes sehen. Wer seinerzeit den dicksten Speck am Schwein hatte, hatte die beste Sau, im Gegensatz zu heute, wo man nur noch schön durchwachsenes Fleisch und wenig Speck dem Vorzug gab. Es gab damals in der armen Zeit jeden Abend Bratkartoffeln wozu der viele Speck mit Zwiebeln benötigt wurde. Dies war zur damaligen Zeit ein wunderbares Abendbrot und schmackhafter und billiger als alles andere.
Die Kontrolle des Fleisches musste durch einen amtlichen Fleischbeschauer geschehen. Man nannte es auch Trichinenschau. Aber auch vor dem Schlachten musste der Fleischbeschauer das Tier begutachten. Es wurde nun entschieden, welches Fleisch zum Braten und Kotelett oder zur Wurst, es waren meistens Mettwurst, Leberwurst, Blutwurst und Schwartenmagen, verwendet wurde. Speck und Schinken wurden gepökelt, es war die Haltbarmachung durch Salzwasser. Da es noch keine Gefriertruhen gab, wurde viel Fleisch und Wurst in Gläsern eingekocht.
Küchenfertiges zerlegen eines Schweines - Bild: Fotolia.com
Die Schlachterei war in den Dörfern um die Mittagszeit in der Regel beendet. Die Schweinehälften hingen dann zum auskühlen an der Leiter. Im Haus gingen die Vorbereitungen meist unter Leitung der Oma weiter. Es ging schon mal hoch her um die Innereien für den Wurstteig zu erstellen. Die Arbeit des Därmeputzens war weniger begehrt. Um der Wurst eine geeignete Umhüllung zu geben musste es aber gemacht werden. Gingen die Därme beim Ausschaben kaputt, hatte man die letzte Nahrung für das Tier zuvor zu heiß in den Trog gegeben.
Man sah es nicht gern wenn zu viele Würste später beim Kochen im Kessel platzten. Dadurch enthielt die Würstebrüh einen besseren Geschmack und eine wunderbare Beilage. Es freuten sich vor allen Dingen Verwandte, Bekannte und Nachbarn, wenn sie in ihrer Wurstbrühe einen ordentlichen Satz fanden. Wer nicht so viele Würste im Kessel platzen lassen wollte pickte mit einer langstieligen Gabel oder einer Nadel in die Haut damit die Luftblasen in der kochenden Wurst entweichen konnten. Der Hausherr sicherte sich die Blase des Tieres für einen Tabaksbeutel.
Blick in die Räucherkammer - Bild: fotocommunity.de
Wurst, Speck und der Schinken kamen dann in die Räucherkammer, die in den meisten alten Siegerländer Häusern vorhanden war. Vorher wurden die meisten Teile, die in die Räucherkammer kamen, noch gepökelt um sie schmackhafter und haltbarer zu machen. Geräuchert wurde mit Buche, was einen guten Geschmack an das Aufgehängte in der Kammer brachte. Aber auch die Haltbarkeit der Ware wurde durch das Räuchern verlängert. Der dickste Brocken der Schinken hing natürlich am längsten im Rauch. Mit der Hausschlachtung und der anschließenden Fleischverarbeitung sowie der Verwurstung verband sich häufig ein Schlachtfest mit der Nachbarschaft.
Anfang der 1960er Jahre war ich lange in Rumänien. Es waren drei Winter so dass ich öfters eine Hausschlachtung von einem Schwein mit bekommen hatte. Wenn man in der kalten Jahreszeit einen Menschen mit einem Bündel Heu oder Stroh auf dem Rücken sah, wusste man der wollte zu Hause ein Schwein schlachten. Das Tier wurde an den Hinterbeinen gebunden und dann unter schrecklichem Geschrei auf die Seite gelegt und zwei bzw. drei Mann knieten auf dem Tier. Es wurde dann geschächtet. Der am nächsten beim Kopf kniete war der Schlachter und schnitt dem Tier den Hals auf. Das Blut wurde auch aufgefangen. Das Schwein sollte so besser ausbluten.
Danach wurde um das Tier ein Feuer gelegt und zwar mit dem Stroh oder Heu, welches der Mann auf dem Buckel getragen hatte und die Borsten brannten ab. Der etwas Fortgeschrittene brannte mit einer Petroleumlampe, welche eine drehbare Flatter hatte, die Borsten vom Tier. Danach wurde das Tier auf ein oder zwei Bretter die am Boden lagen gelegt. Es wurde nun aufgeschnitten sowie aufgeschlagen, die Innereien entfernt und zerlegt. Die Sau wurde noch warm weiterverarbeitet und gut fünf Stunden später sah man schon, dass Kinder die Wurst von dem frisch geschlachteten Tier aßen.
Literaturhilfe:
Wikipedia: Hausschlachtung
Heimatkalender 1974: Hausschlachtungen im Siegerland
Müsener Härdefrieder: Der Dorfhirte war unentbehrlich