Das Bergmannsbegräbnis war ein stetiger Begleiter
Der Bergbau im Siegerland hat eine etwa 2.500 Jahre alte Geschichte. Die Region war lange von der Eisengewinnung und dessen Verarbeitung geprägt. Es ist unglaublich, aber im Jahr 1800 kamen noch rund 35% der geförderten Erze im Deutschen Reich aus Bergwerken im Siegerland. Bis 1909 ging diese Zahl jedoch auf knapp 10% zurück. Heute ist der Beruf des Bergmanns bei uns ausgestorben. 1962 wurden mit Pfannenberg und 1965 mit dem Füssenberg die letzten Gruben in unserer Heimat stillgelegt, da sich die Förderung im Siegerland nicht mehr lohnte. Im Jahre 1900 waren über 15.000 Bergleute im Siegerland beschäftigt. Das tiefste Bergwerk war die Grube Eisenzecher Zug in Eiserfeld mit einer Gesamttiefe von 1.343m. Schätzungsweise wurden insgesamt 175 Mio. Tonnen Eisenerz im Siegerland abgebaut. Ein Vorkommen von weiteren 40 Mio. Tonnen blieben unerschlossen im Erdinneren.
Das Wunder von Lengede. Die Rettung durch eine Dahlbuschbombe (Bild von Helmuth Ellgaard)
Der Beruf des Bergmanns war immer schwer und gefährlich. Neben den alltäglichen Gefahren eines Arbeitsunfalls lauerten unsichtbare Gefahren. Die Angst vor dem Tod und der letzten Schicht, das Bergmannsbegräbnis, war lange Zeit ein stetiger Begleiter der Bergleute. Zu den Unglücken im Bergbau die sich weltweit ereigneten zählen Schlagwetter-, Kohlenstaub- und Sprengstoffexplosionen sowie Wassereinbrüche und Einstürze. Darüber hinaus starben viele ehemalige Bergleute an erworbenen Schäden durch einschlägige Berufskrankheiten.
Im Herbst 1963 wurde Lengede, im Landkreis Peine in Niedersachsen, Schauplatz eines Bergwerksunglück das sich am Donnerstag, den 24.Oktober 1963 ereignete. Kurz nach 20:00 Uhr brach der erst zuvor erbaute Klärteich ein und fast 500.000 Kubikmeter Schlamm und Wasser fluteten in die Grube Mathilde. 129 Arbeiter waren zum Zeitpunkt des Unglücks im Schacht. Zwei Kumpel konnten sich über den Hauptschacht retten, 44 über den Materialstollen und 33 weitere wurden mit Strickleitern durch ein Wetterbohrloch nach oben gezogen. Weitere Kumpels wurden von den mittlerweile 1.000 Rettungskräften, unter anderem waren es Hilfskräfte von der Bundeswehr, dem Roten Kreuz, dem Technischen Hilfswerk und dem Grenzschutz, mit allen möglichen Rettungsgeräten gerettet. Am 3. November war es dann endlich soweit und die letzten elf Lebenden bekamen durch ein 42 mm Durchmesser dickes Rohr den Kontakt nach oben. Es waren immerhin 449 Reporter vor Ort und es wurde live in Rundfunk und Fernsehen von dem Bergwerksunglück berichtet. Der Bundeskanzler Ludwig Erhard war auch anwesend und sprach folgendes durchs Rohr in die Tiefe zu ihnen: „Ich glaube, alle deutschen Herzen sind im Augenblick bei ihnen, in der Hoffnung, in der Zuversicht, dass sie wieder das Licht des Tages erblicken werden. Glück Auf!“ Am 7. November 1963 war es dann endlich so weit, einer nach dem anderen kam über eine sogenannte Dahlbuschbombe nach oben. Die Dahlbuschbombe ist eine 2,5 Meter lange und 38,5 Zentimeter breite, torpedoförmige Rettungskapsel. In der Öffentlichkeit wurden die Geretteten wie Helden gefeiert. Es waren traurige Helden, denn 29 Kumpeln waren gestorben – für sie hatte es kein Wunder gegeben.
Dramatische Rettungsaktion in Lengede. Nach 14 Tagen wurden noch elf Bergleute gerettet. (Bild von dpa)
Auch im Siegerländer Bergbau hatte es schon viele Unglücke gegeben. Aber manche Bergleute wurden auch gerettet bzw. retteten sich selbst vor dem Tode. Von einem jungen Bergmann will ich euch erzählen, der vor vielen Jahren in einem Siegerländer Eisensteingebiet sein Leben auf eine unsagbare Weise rettete. Die Grube, wo Heinrich beschäftigt war, hatte soeben ihren Hauptschacht 50 m tiefer in die Erde gesenkt. Er war nun 350 m tief. Am Ende des Schachtes war Heinrich mit seinem Kumpel Wilhelm dabei einen Querschlag ins Gebirge zu treiben. Hier wurde eine Richtstrecke für den späteren Abbau von den Erzgängen vorgenommen. Die Arbeiten der beiden waren schon weit fortgeschritten, so dass beide bequem Platz in der Luke hatten und sich gut bewegen konnten.
Sieben Sprenglöcher hatten sie gerade gebohrt. Nun legte Heinrich die Bohrmaschine beiseite und wischte sich den rinnenden Schweiß von der Stirn, während sein Kumpel das letzte gebohrte Loch mit sechs langen Dynamitpatronen vollstopfte. Von den Schachtwänden tropfte das Wasser in den Sumpf unter ihnen. Aus den Karbidlampen zischten lange, schmale Flammen. Es war ein erbärmliches Licht was von feinem Bohrstaub wie von dichtem Nebel umhüllt war. Heinrich schaute am Schachtrand stehend nach oben in die rabenschwarze Finsternis. Unter ihm der Schachtsumpf. Es glänzte das unbarmherzige Gestein, in dem sie siebenmal den Bohrer anderthalb Meter tief getrieben hatten. Bald war die Schicht vorbei und 350 Meter trennten ihn von der Sonne die oben leuchtete. Zu Hause wartete auf Heinrich eine junge Frau mit einem zweijährigen Bübchen nach denen er sich sehr sehnte. Mit dem was der Dynamit in den sieben Löchern gleich aus dem Gestein riss konnte und musste sich ja die Ablösung beschäftigen.
Die Rettungsarbeiten in Lengede, die schon abgebrochen waren, werden mit Erfolg fortgesetzt (Foto von Sven Simon)
Wilhelm fragte seinen Kumpel ob alles fertig ist und stand vor dem letzten Bohrloch aus dem die Zündschur wie eine dünne Schlange hing. Er legte den Ladestock auf den Boden und war erleichtert, dass alles geklappt hatte. Heinrich zog zweimal die Signalleine. Doch der Korb hing und sie warteten und warteten. Endlich senkte der Korb sich langsam zu ihnen herab. Der Korb hielt wippend an und sie legten die Bohrmaschine usw. unten hinein, stellten die Druckleitung ab und brachten den Luftschlauch in Sicherheit. Noch ein prüfender Blick in die Runde und sie ergriffen ihre Lichter, Brotsäcke, Kaffeepullen und hingen sie in den Korb. Lass brennen befahl Heinrich seinem Kumpel. Er hielt das Feuer an die erste Zündschnur, die zweite bis zur siebten. Es flackerten nun sieben Zündschnüre und fraßen sich langsam zu den Dynamitpatronen vor. Sie blieben dabei ganz ruhig, denn sie waren die Arbeit gewohnt.
Die Grube Eisenzecher Zug um 1905 in Eiserfeld war zu ihrer Zeit die größte Spateisensteingrube Europas (Bild von einer Postkarte)
Sie waren beide im Korb und Wilhelm sagte: „Gib Signal Heinrich“ und dieser zog an der Leine. „Personen auf,“ war das Kommando, aber der Korb bewegte sich nicht. Weswegen fuhr er nicht? Der Maschinist an der Fördermaschine war genau informiert und wusste, dass jetzt zwei Menschen vor sieben brennenden Zündschnüren standen, die sich langsam zu den Dynamitpatronen fraßen. Hatte er das Signal überhört oder was war los? Sekunden verrinnten und den Kumpels packte die Angst, denn sie standen vor sieben brennenden Schnüren. In Wilhelms Gesicht zuckten die Muskeln und er brüllte gegen den Korbdeckel, „es brennt, es brennt,“ aber wie sollte es der Maschinist hören. Es war Totenstille, nur die Tropfen klatschten ständig in den Schachtsumpf und die Schnüre brannten weiter. Heinrich sprang mit einem Satz aus dem Korb und wollte wohl die Schnüre löschen. Er war noch nicht an der ersten Leine, da vernahm er hinter sich einen grellen Schrei und der Korb fuhr mit Wilhelm nach oben. Die Hand, die die Signalleine von Wilhelm berührte, sank wieder langsam zurück. Der Bergmann überlegte klar, wenn er jetzt ein Signal gab kam der Korb zurück. Doch was nutzte es. Der erste Schuss musste jeden Moment fallen. Kam der Korb zurück, mussten beide Kumpels ihr Leben lassen und es war besser einer als zwei. Die Hand kam von der Leine wieder zurück und der Korb sauste durch den Schacht nach oben.
Arbeiten im Bergbau, einer der härtesten und gefährlichsten Jobs der Welt. (Bild von Calileo)
Da stand er nun tief im Leib der Erde und sieben Schnüre zischten zu den Sprengkapseln. Es war ihm klar, dass er in den nächsten Sekunden kaputtgerissen würde. Starr richtete sich die Augen auf den ersten Schachtrahmen über dem Füllort, dessen Gebälk sichtbar war. Doch der Schachtrahmen war zu hoch und mit einem Sprung unmöglich zu erreichen. Allmächtiger hilf, schrie er zwischen dem tropfenden Gestein. Die Angst des Todes erfasste jede Zelle seines jungen Körpers und die wollten leben. Heinrich wich zurück und fiel wieder nach vorn. Sein Körper schnellte sich nun zu dem ersten Schachtrahmen. Zog jemand den Knappen empor? Es war ein Wunder, denn das Unmögliche war gelungen. Seine blutigen Hände erreichten das klitschige Holz und seine Finger schlugen sich wie Krallen hinein. Für Sekunden schwebte der Bergmann über dem Sumpf. Nun turnte er höher und legte sich über einen Schachtbalken.
Zeche Zollverein Essen. Er wird auch Eiffelturm des Ruhrgebietes genannt und gehört heute UNESCO - Weltkulturerbe. (Bild aus prosieben.de)
Ein Tosen umgab den Knappen, denn der erste Schuss krachte. Grell pfiff die Luft zwischen den Schachtwänden und schnitt ihm ins Fleisch. Es kam der zweite Schuss und in Todesangst umklammerte Heinrich das Holz. Beißender Dynamitdunst drang ihm durch die schnell atmende Lunge, denn jeder Schuss wollte ihn davon zerren. Es folgten weitere Schüsse und immer noch wehrte sich der Bergmann in dieser Hölle gegen den Tod. Dann kam endlich der siebte und zum letzten Mal krachte es unter ihm. Nun wurde es ruhiger und Heinrich lag wie gelähmt auf dem Holz. Sprengstoffgase und Staub ließen ihn kaum atmen und die Sinne wollten ihm schwinden. Noch einmal zwang er seinen Körper zur allerletzten Kraft. Wenn er auf dem Holze liegen blieb, schnitt ihn der herablassende Korb in Stücke. Durch die ganz tiefe, dunkele Nacht, und Gott wollte dieses, dass er auf die unterste Bühne des Schachtes kam. Hier brach er bewusstlos zusammen. Der Förderkorb mit seinem Kumpel Wilhelm und die Ablösung kam nun herab. Alle glaubten fest, einen Toten suchen zu müssen. Sie waren hoch erfreut als sie ihren auf der Ruhebühne liegenden Heinrich fanden. Keiner von ihnen hätte es für möglich gehalten, dass ein Mensch für so etwas fähig gewesen wäre, auch wenn der Tod ihm im Rücken war.
Literaturhilfe:
wikiwand: Bergbau im Siegerland
geschichte/chronologie: Das Wunder von Lengede
wikipedia: Wunder von Lengede
Rudolf Utsch: Der Sprung in den Tod
Wikipedia: Unglücke im Ruhrbergbau