Die dickste Eiche des Siegerlandes fällt
Es war Montag, der 15. Juli 1935, als ein Unwetter über das Siegerland hinweg zog. Der Sturm war so heftig, dass er überall Dachpfannen und Schieferplatten heraus riss. Er nahm alles mit, was nicht Niet- und Nagelfest war. Zahlreiche Baumkronen wurden von dem Wirbelsturm einfach abgedreht und noch einige Meter mitgenommen. Die gewaltigen Regengüsse verbunden mit heftigen Hagelschauern ließen seinerzeit viele Roggenfelder und andere Fruchtarten wie gewalzt aussehen. Bei hochgelegenen Häusern zerschlug der Hagel sogar die Fensterscheiben.
Die dickste Eiche des Siegerlandes im Jahre 1926 auf dem Hofe Wurmbach in der Winterbach in Dahlbruch
Der Orkan, der besonders das Ferndorftal heimsuchte, legte Bäume und Telegraphenmasten um. Er zerstörte elektrische Leitungen, so dass ganze Ortschaften ohne Strom waren. Besonders in den großen Nutzgärten, die zur damaligen, armen Zeit noch überall im Siegerland waren, wütete der Sturm heftig. Zahlreiche Bohnenstangen wurden umgelegt. Auch viele Obstbäume, besonders Kernobst, dessen Holz brüchiger ist, wurden umgerissen. Das Obst lag wie gesät in den Gärten. Aber auch Straßenbäume knickten um, so dass viele Straßen gesperrt werden mussten. Es waren besonders die Bäume, die eine große, dichte Krone hatten, denn hier war eine breite Angriffsfläche vorhanden. Die Ferndorf, die zuvor noch ein Rinnsal war, wurde in kurzer Zeit zu einem rauschenden Fluss.
Auch die dickste Eiche des Siegerlandes fiel diesem gewaltigen Gewittersturm zum Opfer. Sie stand in Dahlbruch in der Winterbach auf dem Hofe Wurmbach, der 1932 in den Besitz der Familie Müller ging und war das Wahrzeichen sowie Aushängeschild dieses Gehöftes. In Brusthöhe gemessen hatte dieser gewaltige Baum einen Durchmesser von 1,90 Metern und einen Umfang von 5,40 Metern. Die Maße wurden einst in Brusthöhe angegeben, da in dieser Höhe die Wurzelstärke nicht mehr vorhanden war.
Die mächtige Eiche in der Winterbach in Dahlbruch. Gezeichnet von H. Schneider
Dieser mächtige Kollos wurde etwa um 16.00 Uhr am 15. Juli 1935 ein Opfer des gewaltigen Unwetters. Dieser Solitaritätsbaum, der neben dem Wohngebäude stand, brach einige Meter über der Erde ab und fiel über den Weg in den Garten. Das Brausen des Sturmes war so heftig, dass die Bewohner des Hauses nebenan das Bersten dieses riesigen Baumes gar nicht bemerkt hatten. Es war schon ein glücklicher Zufall, oder war es Gottes Wille, der Macht über die Natur hat, dass er nicht auf das Wohnhaus oder auf das gegenüberliegende Stallgebäude fiel und Menschen und Tiere unter sich begrub? Beim Fallen riss er zwar Wäscheleinen, Stromleitungen, Bäume, Zäune und Sträucher um, wodurch sich dieser Schaden in Grenzen hielt.
Diese dicke Eiche hatte eine wunderbare, üppige Baumkrone. Auch der Stamm war herrlich gewachsen, denn er war auf einer Länge von acht Metern gleichbleibend im Durchmesser und ohne Äste. Sie ließ eine ungebrochene Lebenskraft vermuten. Der Baum wurde auf ein Alter von 600 bis 700 Jahre geschätzt. Aber der Zahn der Zeit hatte schon an diesem Riesen genagt.
Es war nicht einfach die dickste Eiche des Siegerlandes seinerzeit zu verarbeiten, denn man hatte keine Motorsäge
In den Wirren der damaligen Zeit wurde leider diesen Naturdenkmälern längst nicht solche Beachtung geschenkt wie heute. Schon längst wäre hier eine intensive Baumpflege von Fachpersonal nötig gewesen um das Überleben dieses Riesen zu ermöglichen. Ihr Stamm war nämlich innen zum Teil hohl. Durch ein schmales Loch in Bodenhöhe hatte der Hofhund im Inneren des Baumes jahrelang Schutz gefunden. Das Urgetüm war seinerzeit für die Menschen sowie viele tierische Lebewesen, die in ihm beheimatet waren, nicht wegzudenken. So hatte unter anderem Kauze jahrelang hier genistet. Am anderen Morgen fand man in der Baumkrone noch einen Kasten mit jungen Staren, die die ersten Flugversuche nach der Herausnahme machten.
Der Baumriese brachte immerhin noch etwa 20 Festmeter Holz. Schnell verbreitete sich die Kunde von diesem seltenen Ereignis. Der Baum stand unter Naturschutz und war im weiten Umfeld bekannt und das Markenzeichen dieses Hofes. Tage später kamen immer noch die Menschen besonders aber Naturfreunde um diese dickste, uralte, gefallene Siegerländer Eiche zu betrachten und sich von ihr zu verabschieden. Es sah so aus, als wollten sie diesem alten Baum das letzte Geleit geben.
Jahrzehntelang stand noch ein Teil der ehrwürdigen Linde vom Hofe Müller in der Hauptstraße in Müsen und diente als Blumenkübel.
Nicht unerwähnt soll eine Eiche bleiben, die auf der hinteren Wiese auf diesem Hofe stand. Sie ist zum 100. Geburtstag zu Ehren vom ehemaligen Gutsbesitzer Johann Henrich Wurmbach am 22. März 1896 gepflanzt worden. Die Eiche stammte aus dem Sachsenwalde und war ein Geschenk vom Fürsten Bismark. An dieser Geste von Bismark kann man erkennen wie bekannt dieser Hof war.
Noch einem Baume muss auf diesem uralten Hofe, der zwei Jahrhunderte im Besitz der Familie Wurmbach war, Beachtung geschenkt werden. Es ist ein Ableger der Linde vom Kindelsberg, die Jung-Stilling im 13. Band seiner Werke erwähnt hatte. G. H. Wurmbach pflanzte sie 1815 vor dem Backhaus zur Erquickung seiner Nachkommen. Leider fiel diese ehrwürdige Linde Mitte der 1950er Jahre einem Blitze zum Opfer.
Somit verlor Dahlbruch am 15.Juli 1935 den Ruhm und die Ehre die dickste Eiche des Siegerlandes zu besitzen. Die Königseiche im Hochstätter Wald zwischen Salchendorf und Eisern gelegen, konnte nun dieses für sich in Anspruch nehmen. In Brusthöhe gemessen hatte diese Eiche seinerzeit einen Umfang von 4,98 Metern.