Der Weg eines Häftlings zum Seelsorger
Die Vorfahren der Familie Michel gehörten einer alten in der deutschen Schweiz ansässigen Familie an und hatten ursprünglich ihren Wohnsitz in dem am Züricher See malerisch gelegenen, zum Kanton Zürich gehörigen Städtchen Horgen. Ein Hans Jakob Michel zog in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als reformierter Pfarrer aus seiner schweizerischen Heimat nach Hadamar (Hessen). Dieser Hans Jakob Michel scheint der Ur-Urgroßvater des Ohm Michel gewesen zu sein. August Philipp Michel wurde am 20. März 1820 in Siegen geboren. Er war das siebte Kind eines Arztes. Schon als Kleinkind verlor er seinen Vater, so dass die Mutter die Erziehung der großen Kinderschar übernehmen musste. Ihre Kinder wurden von ihr streng im evangelischen Glauben erzogen. Mit Einwilligung des zuständigen Pfarrers besuchte sie die Kranken und Armen der Gemeinde und half wo sie nur konnte. August Philipp Michel begleitete sie bei ihren Besuchen. Als er schulpflichtig wurde, schickte die Mutter ihn auf die lateinische Schule in Siegen. Dort gefiel es ihm überhaupt nicht, er hatte einfach keine Lust und der Erfolg blieb aus. Lediglich der Zeichenunterricht machte ihm Spaß, denn er hatte hierin eine wirkliche Begabung. Da sich aber trotz aller Ermahnungen durch Mutter und Lehrer nichts änderte, nahm Mutter ihn von der Schule und schickte ihn in die Lehre nach einem Steinzeichner (Lithographen).
Ohm Michel in den jüngeren Jahren
Hier lebte er förmlich auf und schon bald war auch sein Lehrherr mit seiner Arbeit zufrieden. Kaum jemand konnte so sauber und genau Zeichnen wie August Michel. Leider brauchte er sein Geschick nicht nur für ehrliche Arbeit bei seinem Meister, sondern er wurde zu einem Betrüger. Er fing an Banknoten zu fälschen und zu drucken. Eine Gruppe von angeblichen Freunden standen ihm zur Seite und brachte die falschen Scheine unters Volk. Die Drucke waren so Original täuschend ähnlich, dass sogar die Bankbeamten darauf reinfielen und sie zunächst als echt erklärten. August Michel und seine Gesellen schwammen förmlich im Geld und führten ein lustiges Leben. Bald kam man auf die Schliche. Das Siegener Intelligenzblatt schrieb folgendes: „Die lange gesuchte Persönlichkeit aus der Geschichte des Glaubens Falschmünzer ist nun endlich in der Person des Steindruckers August Michel entdeckt worden.
Ohm Michel vom Geldfälscher zum Prediger
Alle Landjäger und Ortspolizisten waren angewiesen, nach ihm zu suchen und möglichst umgehend festzunehmen. Wurde er einmal festgenommen, gelang es ihm immer wieder auszureißen. Auch die Gefängnisse waren für ihn kein Hindernis. Seine tolldreisten Unternehmen sorgten bald für Gesprächsstoff im Siegerland. Man nannte ihn nur noch den wilden Michel. Eines Nachts kam die Bredouille, er begegnete einem Landjäger, der auf der Suche nach ihm war. Michel wusste sich zu helfen, er stimmte die Preußenhymne „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben …..“ an. Der Landjäger legte seine Hand an die Pickelhaube. Ein so preußisch patriotisch gesinnter Spaziergänger konnte kein gesuchter Verbrecher sein und ließ ihn weiter gehen. Die Polizei hatte gr0ße Mühe Michel zu ergreifen und ihn sesshaft zu machen. Aber eines Tages wurde er doch verhaftet. Das Gericht ließ keine Gnade walten, das Urteil vom 17.12.1853 lautete: 20 Jahre Zuchthaus. Da er aus dem Amsberger Gefängnis bereits einmal ausgebrochen war, wurde er in das neu erbaute „Neues Zuchthaus“ in Münster eingesperrt. Dieses galt als Isolier-Strafanstalt, da es überwiegend Einzelzellen besahs. 20 Jahre in einer Einzelzelle, das war für den robusten Naturburschen zu viel.
Ohm Michel in den älteren Jahren
Er rannte in seiner Zelle auf und ab und hatte Selbstmordgedanken, aber Gott hatte noch etwas vor mit ihm. Beim einem Ausgang fand er eine Glasscherbel und wollte sich später damit die Pulsader aufschneiden. Von einem Beamten kam er zufällig eine Bibel geschenkt. Wahllos schlug er sie auf und las das Wort: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen du bist mein.“ (Jesaja 43,1). Fortan ging er regelmäßig zum Gottesdienst. Krüger der Gefängnispfarrer erkannte in ihm einen Suchenden und kümmerte sich um ihn. Sie lasen oft gemeinsam die Bibel und der wilde Michel öffnete sich langsam für das Wort Gottes.
Der Reichsgraf Karl Prinz von Salm Hostmar, war ein aufrichtiger Christ. Trotz seiner hohen Stellung besuchte er die Inhaftierten in den Zuchthäusern und nahm an Ihrem Schicksal Anteil. Der Pfarrer machte ihn auf August Michel aufmerksam und erzählte von dessen Veränderungen in den Jahren seiner Haft. Immer wieder suchte der Prinz das Gespräch mit Michel in der Zelle. Voller Dankbarkeit stellten der Prinz und der Pfarrer fest, dass Michel im Glauben wuchs. Obwohl er noch hinter Gittern saß war er innerlich ein freier Mensch geworden. Nach einiger Zeit wandte sich Prinz Karl mit der Bitte um Begnadigung an die höchste Stelle im Königreich, an König Wilhelm I. von Preußen. Der Prinz setzte sich mit seinem Ehrenwort für Michel ein und bat das man den Freigelassenen seiner persönlichen Betreuung überweisen möchte. Der Bitte wurde stattgegeben und Michel war äußerlich wieder ein freier Mann.
Der frühere Zellengefangene ein Siegerländer Original
Nach der Freilassung standen ihm sowohl Prinz Karl und der Gefängnisseelsorger mit Rat und Tat zur Seite. Am 4. Februar 1864 öffneten sich für August Michel die Tore des Zuchthauses. Sie suchten für ihn eine Beschäftigung. Michel war für einen Dienst in einem Schloss, was vorgeschlagen war, nicht der Richtige, auch die Beschäftigung in einem Fotoatelier war nicht sein Ding. Michel bekam die Arbeitsstelle als Wiegemeister auf der Rolandshütte in Weidenau. Auch eine Wohnung bekam er vermittelt. August Michel fand eine Arbeitsstelle die ihm zusagte. Regelmäßig besuchte er die Gebets- und Bibelstunden in den Gemeinschaftskreisen. Er berichtete von dem was Jesus für ihn geworden war, andächtig hörte man ihm gerne zu. Aus dem wilden Michel war in kurzer Zeit der Ohm Michel (Ohm = Onkel) geworden. Prinz Karl schrieb einen Brief deren Anschrift lautete: „An den Herrn August Michel dem treuen Himmelsbürger in Weidenau“. Jeder Postbote wusste wo der Himmelsbürger wohnte. Ohm Michel wurde zum Seelsorger für viele ältere und jüngere Menschen. Sie besuchten ihm im Wiegehäuschen um mit ihm zu sprechen. Schon nach kurzer Zeit drehte er das Gespräch um, so dass Jesus und sein Werk im Mittelpunkt standen. Die männliche Jugend lag ihm besonders am Herzen. Hatte das Siegerländer Original doch selbst erlebt wo junge Menschen landen können. Urwüchsig und derb hatte er in den Stunden bei der Gemeinschaft gemahnt, Jesus Gnade anzunehmen. Seine Stube war eine Segenstätte für viele geworden.
Ein Christuszeuge aus dem Siegerland
Der Herr erlöste den lieben Kranken Ohm Michel endlich von allem Erdenjammer am Karfreitag den 13. April 1900 und half ihm zu seinem himmlischen Reich. Das Unikum durfte wie er es gewünscht hatte am Karfreitag einschlafen. Als ein durch Christi Blut Erlöster ging er in Frieden heim. Tod wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? „Ein Festtag im Trauergewande“, so wurde zutreffend in der christlichen Zeitschrift „Das Volk“ der zweite Ostertag 1900 fürs Siegerland bezeichnet. Es galt, die irdische Hülle des 80jährigen Ohm Michel von Weidenau zu Grabe zu tragen. Waren dem entschlafenen auch keine Kinder beschert und seine Gattin ihm längst voraus gegangen, so war doch die Zahl der Teilnehmer eine sehr große und Weidenau durfte einen Leichenzug sehen, wie er an diesem Platze wohl noch keinem Sterblichen beschieden worden war. Wohl an die 2000 Menschen versammelten sich mittags vor dem Hause des lieben Heimgegangenen, um ihm, der in seinem Leben so vielen zum bleibenden Segen geworden war, das letzte Geleit zum Friedhof zu geben.
Tief bewegt und zugleich freundlich erschallten die Klänge des Liedes durch den Posaunenchor. „Lasst mich gehen, dass ich Jesus möge sehn.“ Es schlossen sich Lieder der vereinigten Jünglingsvereine von Weidenau und Sieghütte an. Der Entschlafene war ein besonderer Freund des Gesangs. Es standen Sänger am Grabe und sangen ihm Lieder unter anderen „Brüder, lasst uns hier am Ufer warten in der Hoffnung still.“ Da wurde manches Herz bewegt und manche Erinnerung erweckt, denn es war das Lieblingslied von Ohm Michel.
Das Wasserrad im Besucherbergwerk in Müsen dreht sich – unter der Erde geht es von hier weiter bis nach Kreuztal
Im Vereinshaus fand die Nachfeier statt, welche mit dem Liede, „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende;“ und ein Gebet von Albrecht Siebel aus Freudenberg eröffnet wurde. Siebel war Hufschmied und einer der ältesten Christen die dem Heimgegangenen nahe standen. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Auf dieses Wort war in der dunklen Zelle des Gefängnisses sein erster Blick gefallen, als ihm vom Kerkermeister ein Buch, die Bibel, geschenkt wurde. Die Ansprache hielt Pastor Kühn von Siegen. Er sagte u. a. „Tod wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg.“ Man kann aus diesen Worten hören das der, welcher sie gesprochen hatte, einen schweren Kampf hinter sich hatte. Man musste lange warten auf welche Seite der Sieg fallen würde. So war auch das Leben des heimgegangenen alten Pilgers Michel. Der Reiseprediger Nies aus Buschhütten sprach über die Offenbarung des Johannes. Der Ohm saß lange hinter Schloss und Riegel. Darum brannte sein Herz auch immer so für die armen Gefangenen und er redete von ihnen meistens mit Tränen in den Augen. Wurde in einer Gebetsversammlung nicht über Gefangene gebetet war Michel nicht zufrieden. Fabrikant Heinrich Melmer aus Weidenau sprach im Namen der christlichen Gemeinschaft folgendes, ich wurde unwillkürlich an das Wort des Greisen Simeon erinnert, „Herr nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Wir wissen wehr Simeon war und eine solch ehrwürdige Gestalt war auch der Ohm Michel. Wie jener so sehnte auch er sich nach der oberen Heimat. Einen tiefen und herzbewegenden Eindruck machte die Aussprache von Karl Nöh aus Clafeld der den Heimgegangenen wärend seiner schweren Krankheit treu gepflegt hatte, der mit Tränen in den Augen über das schwere Krankenlager des lieben Ohm Michel berichtete.
Nach einem gemeinschaftlichem Gesang ein ernstes Gebet des Gemeindevorstehers Sassmann von Weidenau hatte die erhebende und einen tiefen Eindruck hinterlassende Gedächtnisfeier ihren Abschluss gefunden. Das Unikum der Ohm Michel war nicht mehr unter uns. Die Jungen und auch die Alten die oft in sein Haus einkehrten fanden die einst offene Tür verschlossen. Aber die Erinnerung an Ohm Michel wird in allen christlichen Versammlungen des Siegerlandes und darüber hinaus fortleben.
Literaturhilfe:
H. Schiefer: Ohm Michel der frühere Zellengefangene.
Das Volk Zeitschrift: Ein Festtag im Trauergewande
Siebel aus Freudenberg: Der Heimgegangene stand fest im Glauben
Pastor Kühn von Siegen: Alter macht ehrwürdig, Alter in Christo am meisten
Nies Buschhütten: Offene Türe zu vielen Herzen
Heinrich Melmer Weidenau: Warten auf den Heiland
Karl Nöh aus Clafeld: Der Herr hat alles wohl gemacht