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Die Johannlandbahn wird gebaut

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten sich in vielen Gegenden Eisenbahnkomitees, die teilweise auch noch gegeneinander standen, um die Gunst der Entscheidungsträger zu bekommen. Die Anregungen, eine Bahnlinie durchs Netpherland zu bekommen, ging von weitsichtigen Bürgern aus. Bereits in den 1860 Jahre wurde in Netphen ein Komitee gegründet, was eine Bahnlinie durch Netphen bis nach Marburg wollte. Dieser Plan scheiterte da eine Strecke von Kreuztal über Hilchenbach nach Marburg gebaut wurde. Siehe hierzu den Abschnitt über die Ostverbindung in diesem Bericht. Nun wollte man eine Verbindung nach Straßebersbach in Hessen bauen. Aber auch dieses Projekt scheiterte und man widmete sich nun der Verbindung von Weidenau nach Deuz zu. Dem ersten Eisenbahnkomitee des Netpherlandes gehörten Vertreter aus Wirtschaft und Kirche, später auch der Politik an.

Die Siegbrücke bei Netphen. (Bild 57lesershop.de)
Die Siegbrücke bei Netphen. (Bild 57lesershop.de)

Die Inbetriebnahme der Kleinbahn Weidenau – Deuz erfolgte am 1. Dezember 1906, nachdem die Strecke vorher von der Landespolizei abgenommen wurde war. 1906 erhielt Deuz auch eine elektrische Straßenbeleuchtung. Somit war es ein glückliches Jahr für die Gemeinde am Zusammenfluss von Sieg und Werthe. Das 11,64 km lange Teilstück wurde zu gleichen Teilen vom Königreich Preußen, der Provinz Westfalen und dem Kreis Siegen finanziert. Die Arbeitszeit für diese Strecke betrug 14 Monate. Die Ausführung des Bahnbaues und dessen Betrieb wurde von der Firma Lünenburger und Franzen aus Witten durchgeführt. Beschäftigt wurden hierbei kaum einheimische Arbeiter, sondern zum größten Teil Kroaten und Italiener. Besondere Bauschwierigkeiten waren nicht zu überwinden. Nur das eintretende Hochwasser im Winter 1905/06 hat die Siegregulierarbeiten teilweise vernichtet. Der Materialmangel zur Herstellung dieser Arbeiten wurde durch Schlackensand besonders von der Rolandshütte und Steinen aus den Steinbrüchen von Netphen behoben. Hierdurch verlängerte sich die Bauzeit aber um einige Monate.

Die Eröffnung der Kleinbahn war für das Netpherland von weittragender Bedeutung. Es war nun endlich ein zeitgemäßes Verkehrsmittel da, mit dem lange vermissten Anschluss an die große weite Welt. Dessen großer Nutzen mit Sicherheit sich bald zeigen würde. Eine große Eröffnungsfeier, in Anwesenheit zahlreicher Honoratioren, fand in Deuz im Gasthof Klein statt. Ein Sonderzug der reichlich geschmückt war brachte die Gäste von Weidenau zum Festort. Zahlreiche Schaulustige hatten sich an allen Stationen versammelt um den Zug freundlich zu begrüßen. Der Empfang in Deuz war ganz besonders. So begrüßte unter anderen, der Kriegerverein mit Fahne und mit präsentiertem Gewehr den Zug sowie viele weitere Vereinigungen. Die Siegener Stadtkapelle marschierte vorne weg durch den reichlich geschmückten Ort zum Festlokal. Auf beiden Seiten des Weges standen die Kinder mit Fähnchen und winkten dem Zug zu. Es donnerten sogar Freudenschüsse ins Tal.

Johannlandbahn am Deuzer Lockschüppen (Bild Pro Johannland Bahn)
Johannlandbahn am Deuzer Lockschüppen (Bild Pro Johannland Bahn)

Die Kleinbahn begann ihren Dienst mit 3 Dampfloks und einigen Personenwagen. Bereits 1908 benötigte man eine weitere Lok. 1911 wurde der Weiterbau der Strecke nach Werthenbach beschlossen. Von den Plänen einer Verbindung nach Ewersbach (Hessen) und Walpersdorf wurde jedoch aus Kostengründen Abstand genommen. Im Jahre 1913 wurde der bis dahin kombinierte Personen- und Güterverkehr getrennt. Die Dampfpersonenzüge wurden in den 50er Jahren durch moderne Schienenbusse ersetzt. Auch im Güterverkehr hielt der Dieselmotor Einzug. Die Kleinbahn kaufte von der Preußischen Staatsbahn auch einen Salonwagen des Kurfürstentums Hessen. Er war also schon vor 1866 gebaut worden und sollte an den Fürsten von Wittgenstein vermietet werden und wurde erst 1938 ausrangiert.

Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Kleinbahnen im Siegerland stand bei der geplanten Kleinbahn Weidenau – Deuz zunächst der Personenverkehr im Vordergrund. Man dachte in erster Linie an den Transport der Arbeiter die in die Betriebe nach Geisweid, Siegen und vor allen Dingen nach Weidenau mussten. Man rechnete mit 600 bis 700 Personen, die täglich mit der Kleinbahn fahren würden. Der Güterverkehr war zunächst im Hintergrund, da die einzelnen Ortschaften lediglich die Abfuhr von Holztransporten angaben. Eine Ausnahme bildete natürlich die Walzengießerei Irle in Deuz, die durch den Bahnanschluss höherwertige Walzen produzieren konnten und der Transport viel billiger wäre als auf der Straße.

Die Kleinbahn beim Lockschuppenfest (Bild E-Mail Center)
Die Kleinbahn beim Lockschuppenfest (Bild E-Mail Center)

Bereits bei der Planung der Ruhr – Sieg Eisenbahnstrecke in den 1840er Jahren wurde eine Ostverbindung Richtung Marburg zur Diskussion gestellt. Die Verbindung Altenhundem – Marburg war zu kostspielig und wurde nicht weiterverfolgt. In Betracht kommend blieben noch zwei Linien bestehen. Die eine führte durchs Siegtal über Netphen, Walpersdorf nach Laasphe, die andere ging durchs Ferndorftal über Hilchenbach, Lützel nach Erndtebrück. Es war kein Geld aufzutreiben und somit rückte die Anbindung ins Wittgensteiner Land in weite Ferne. Das Ferndorftal mit seiner zahlreichen Industrie war mit dieser Entscheidung nicht zufrieden. Auf Anraten von Fabrikant August Klein Dahlbruch wurde in Hilchenbach eine Aktiengesellschaft gegründet, die die Strecke bauen wollte. Nun regten sich auf einmal hohe Instanzen und die Strecke durchs Ferndorftal wurde als Staatsbahn gebaut und 1884 eröffnet. Hätte seinerzeit das Siegtal den Bahnbau bekommen, wäre die Kleinbahn Weidenau – Deuz bestimmt nicht gebaut worden.

Wechselbetrieb bei der Firma Walze Irle in Deuz (Bild Siegerlandbahn.de)
Wechselbetrieb bei der Firma Walze Irle in Deuz (Bild Siegerlandbahn.de)

Die Eröffnung der Johannlandbahn 1906 brachte die Netpher Omnibusgesellschaft, die quasi den ersten Lilienverkehr der Welt hatte, in weitere Schwierigkeiten. Sie war schon über 10 Jahre früher gegründet worden und hatte bereits 1895 einen Benzinomnibus von Daimler. Ansonsten war sie mit einem Dampfomnibus bzw. Pferdeomnibus unterwegs. Trotz zahlreicher Verbesserungen brachte der Linienverkehr zwischen Weidenau und Deuz nicht die erhoffte Resonanz. Erst ab 1914, als die Bahnstrecke um 5 km bis nach Irmgarteichen – Werthenbach verlängert wurde, kam der erhoffte Aufschwung.

Der zweite Weltkrieg nahm immer mehr Einfluss auf die Kleinbahn. Einerseits waren die Unternehmen an der Strecke in Kriegsproduktion eingebunden und hatten hohe Tonnagen zu versenden, anderseits machte sich der Personalmangel bemerkbar da immer mehr zum Militär eingezogen wurden. 1942 lieferte die Lokomotivfabrik Jung aus Kirchen eine Lokomotive. Es war wohl die letzte Lok, die von der Kleinbahn in Betrieb genommen wurde. Bahnhofsanlagen und Gleise wurden durch Bombenabwürfe von englischen und amerikanischen Flugzeugen stark beschädigt.

Auch verloren einige Mitarbeiter dabei ihr Leben. Da Tieffliegerangriffe immer häufiger wurden fand der Personenverkehr nur noch bei Dunkelheit statt. Ab 20. März 1945 wurde der Personenverkehr ganz eingestellt. Schon kurz nach Eintreffen der Besatzungstruppen wurde mit der Instandsetzung der Bahnanlagen begonnen. Am 1. Juni 1945 wurde der Verkehr auf der Kleinbahn wieder aufgenommen. Im Jahre 1946 stieg der Personenverkehr deutlich an. Der Güterverkehr lief dagegen nur schleppend.

Ehemaliges Bahnhofsgelände in Netphen (Bild Streckenvogel)
Ehemaliges Bahnhofsgelände in Netphen (Bild Streckenvogel)

Bereits in den 1980er Jahren ließ der Personenverkehr immer mehr nach. Es wurde der Verein Pro Johannlandbahn e.V. gegründet, der um eine allgemeine Verbesserung bemüht war. Es wurden sogar 35 Mio. DM für einen Umbau zur Verfügung gestellt um alles attraktiver zu gestalten. Aber all diese Bemühungen konnten die Anlieger und insbesondere die Kommunalpolitiker nicht überzeugen. Stattdessen war damals die Ratsmehrheit für die geplante Umgehungsstraße, welche die ab 2004 gesperrte Bahnstrecke brauchte. Der Streckenabschnitt sollte weiter bis Dreis-Tiefenbach mit Güterverkehr befahrbar bleiben. Auch der Inselverkehr in Deuz, zwischen den beiden Werken der Firma Irle, blieb bestehen. Der Rest der Strecke ist teilweise durch Radwege oder Straße bebaut.

Am 25. Mai 1968 fuhr der letzte Personenzug der Kleinbahn Weidenau – Deuz, weil sich der Verkehr immer mehr auf die Straße mit Omnibussen verlegt hatte. Seit Bestehen der Bahn wurden immerhin 61 Mio. Fahrgäste befördert. Insgesamt wurden mit der Kleinbahn 23 Mio. t Güter transportiert. Der letzte Güterzug fuhr im Jahre 2005. Danach wurden die Gleise zum Teil abgerissen und einige Grundstücke verkauft. Heute beschränkt sich der Betrieb von Weidenau bis Dreis-Tiefenbach, dort werden mehrere Industriebetriebe bedient. Das Gleis endet bei KM 2,9 im Alstom-Werk (ehemals SEAG). Dieses stellt Drehgestelle für Schienenfahrzeuge her, früher wurden hier ganze Güterwaggons gebaut. Eine Besonderheit gibt es aber in Deuz, wo das Walzenwerk Irle einen Teil der Strecke übernommen hat und nun mit einer eigenen Diesellok zwischen zwei Werksteilen den Verkehr abwickelt.

Literaturhilfe:
Dennis Köthur: Dokument Stillgelegter Eisenbahnstrecken
Siegener Zeitung: Bericht aus November 1906
Heinz Bensberg: Bau der Sekundärbahn von Creuzthal nach Hilchenbach
Peter Vitt: Wirtschaftsgeschichte des Amtsbezirks Netphen
Wikipedia: Kleinbahn Weidenau - Deuz
www.koethur.de: Streckenvogel

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