OB Fißmers Bunkerbau rettete viele Menschen
OB Fißmer
Am 25. April 1919 wurde Alfred Fißmer in Siegen zum Bürgermeister gewählt. Keiner, weder die Wähler noch der Gewählte hatten seinerzeit gedacht, dass er gut 25 Jahre in diesem Amt bleiben würde. Er wurde am 17. April 1878 als Sohn eines großbürgerlichen Hohenlimburger Unternehmerehepaares geboren. Er studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaft und wurde 1909 besoldeter Stadtrat und schließlich Polizeidezernent in der Stadt Bochum. Fißmar war von 1914 bis 1918 im ersten Weltkrieg bei der Feldartillerie und kehrte als Hauptmann zurück.
Als Bürgermeister war er in einer Zeit der schweren Wirtschaftskrisen und der großen Unruhen gewählt worden. Es war auch die Zeit der Gruben- und Hütten- schließungen im Siegerland. Wer weiß noch, dass die Zeit der Inflation so groß war, dass man die Steuern in Körben voll Geld ins Rathaus brachte. Mann konnte es kaum zählen, es lohnte sich quasi nicht mehr, da die Geldentwertung innerhalb weniger Stunden gewaltig zunahm. Auch die Arbeitslosigkeit von 1924 bis 1926 und die von 1929 bis 1935 die noch viel schlimmer war. Man konnte es nicht ermessen, was für Sorgen die Bürger und der Bürgermeister hatten. Es war keine Zeit zum Bau von Denkmälern sondern es galt die Einwohner und die Stadt von größeren Schäden fern zu halten.
Hochbunker in Siegens Oberstadt (Bild Boris Hoppek)
Selten benutzte Fißmer seinen Dienstwagen für innerstädtische Fahrten. Darum ging ihm auf seinen Fußwegen auch nichts verloren. Alle städtischen Baustellen nahm er selbst in Augenschein. Wenn er aber Nachlässigkeit in seinem Büro feststelle ging er selbstverständlich der Sache nach. Wegen seiner Sparsamkeit wurde Siegen in der Zeit der totalen Verschuldung, von auswertigen Zeitungen, als glückliche Stadt bezeichnet weil ihr Bürgermeister noch Überschüsse machte. Er war sich bewusst, dass er die Gelder der Steuerzahler verwaltete. Er musste nicht alle Gelder ausgeben die im Haushaltsplan zur Verfügung standen. Damit hat er vielen Siegener Bürger geholfen, die sonst durch höhere Steuerlasten in Bedrängnis gekommen wären. Später hatte man ihm allerdings vorgeworfen, dass nach 1939 die stark verschuldeten Gemeinden vom Staat entschuldet wurden und Siegen zählte nicht dazu.
Bunker im Stadtgebiet von Siegen (Bild Zeit.Raum)
Siegen überschritt im Jahre 1920 die 30.000 Einwohner Grenze und wurde somit am 1. März 1923 kreisfreie Stadt. Auch Alfred Fißmar wurde am selben Tag Oberbürgermeister. Als OB wurde Fißmer in den Aufsichtsrat der Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerke gewählt. Seine jährliche Aufwandsentschädigung von etwa 8.000 RM zahlte er freiwillig in die Stadtkasse. Die Einwohnerzahl von Siegen stieg trotz Kriegsverluste 1944 auf über 40.000. 1926 wurde zur besseren Wasserversorgung mit der Ringleitung begonnen. Weiterhin wurde in diesem Jahr eine Jugendherberge im Hof des oberen Schlosses gebaut und eingeweiht. Das neue Städtische Waisenhaus „Anna-Helenen-Stift" wurde im Sommer 1939 fertig gestellt. Im Jahre 1933 wurde Siegen Sitz eines Landesgerichtes und 1935 Garnisionstadt. Das Stadtkrankenhaus am Kohlbett wurde 1934/35 stark erweitert und modernisiert. Am 1. April 1937 wurden Achenbach und das Charlottental eingemeindet.
Fißmar war zwar zunächst parteilos, wurde aber als "deutschnational eingestellt" beschrieben und somit ein Gegner der Weimarer Demokratie. Er sollte bereits seit 1933 die SS unterstützt haben und sollte 1937 in die NSDAP aufgenommen worden sein. Er war kein überzeugter Nationalsozialist passte sich jedoch zum Teil den nationalsozialistischen Verbrechen an und war dadurch an einigen Verbrechen in Siegen mit verantwortlich. Bei Kriegsende wurde er von den britischen Besatzungsbehörden als Bürgermeister entlassen. Nach 1945 zog es ihn zur CDU. In diesem Jahr kam er in den Aufsichstrat der Firma Waldrich Siegen dessen Vorsitzender er 1960 wurde. Alfred Fißmer verstarb am 15. Dezember 1966 in Siegen.
Bunkergebäude in der Burgstraße (Foto Stadt Siegen)
So sparsam der Oberbürgermeister auch war, reagierte er aber mit großer Weitsicht auf die Zeichen der Zeit. Man denke an seinen Einsatz für den Bunkerbau. Siegen galt vor 1933 als sparsamste Stadt. So konnte man mit Recht in den Kriegsjahren sagen Siegen galt als großzügige Stadt hinsichtlich des Bunkerbaues. Es wurden 16 Bunker gebaut und außerdem durch das städtische Tiefbauamt noch Stollen hergestellt. Weiterhin gab es noch Erdbunker und Luftschutzräume. Man bedenke für die Herstellung der Luftschutzanlagen waren rund 200 Güterzüge zu je 60 Waggons nötig um Eisen, Kies, Zement, Holz usw. nach Siegen zu schaffen. Die Kosten für dieses enorme Unternehmen hatten etwa 20 Mill. RM betragen. Die 16 Bunker waren an fogenden Stellen, Hindenburgstraße, Stadtkrankenhaus, Burgstraße/Bickener Wende, in der Fludersbach, Siegbergstraße, Sieghütter Hauptweg, Hochstraße, Hainer Weg, am Kaisergarten, an der Eintracht, Marienkrankenhaus, Saarbrücker Straße, Amtskrankenhaus Weidenau, Friedrich-Flender Platz Weidenau, Flurschule Weidenau und Feuerwehrsanitätshaus Klafeld.
Hochbetonbunker in der Fludersbach (Bild fotofreund-si.de)
Der Hainer Luftschutzbunker bestand aus einem stillgelegten Bergwerkstollen. Er sollte auf einer Fläche von 2.230 m3 bis zu 3.000 Menschen Schutz vor Bombenangriffen bieten. In dem Hainer Stollen, der über zwei Eingänge eine zusätzlicher Bunkeranlage hatte waren bedeutende Kunstschätze aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet, im Wert von 3 bis 4 Milliarden Goldmark, eingelagert, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Der Stollen war zu diesem Zweck mit einer Heizungs- und Belüftungsanlage ausgestattet worden um die Kunstschätze vor Feuchtigkeit zu schützen. Außerdem wurde dieser vom übrigen Bunkersystem getrennte Teil rund um die Uhr polizeilich bewacht, aber auch eigens abgestellte Kunstsachverständige überprüften täglich den Zustand.
Zu den im Hainer Stollen zwischengelagerten Kunstgegenständen zählten unter anderem der Aacherner Domschatz einschließlich des Karlsschreins mit den Gebeinen Karls des Großen, die Domschätze aus Trier und Essen sowie die Türflügel von St. Maria im Kapitol in Köln aus dem Jahr 1065. Weitere eingelagerte Kunstgegenstände waren Originalgemälde des in Siegen geborenen Barockmalers Peter Paul Rubens oder stammten aus anderen Kirchenschätzen sowie aus dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum und dem Schnütgen-Museum. Daneben wurden 40 Kisten an Material aus dem Bonner Beethoven-Haus, darunter die originalen Notenmanuskripte Ludwig van Beethovens, hier eingelagert. Laut Zeugenaussagen soll auch ein Konzertflügel auf dem Beethoven gespielt hatte, im Hainer Stollen untergebracht worden sein.
Sicherlich waren die Opfer und Verluste trotz aller Vorsorge sehr schwer. Sie wären aber um ein vielfaches höher gewesen, wenn nicht die Weitsicht und Tatkraft vom Oberbürgermeister und seinen Mitarbeitern für genügend Schutz gesucht hätten. Alleine durch diese Geschichte sicherte sich Alfred Fißmer in der Stadt Siegen einen hervorragenden Platz. Nicht nur wegen dem Verkehrsknotenpunkt oder als Garnisonstadt waren die Angriffe auf Siegen so oft, sondern der Sitz des Leistungsstabes der V Waffen (Vergeltungswaffen) war mit ein Grund. Ihr Sitz war im Gebäude des Kulturamtes im Hermelsbacher Weg gewesen. Wenn dieses auch nicht der Stadtverwaltung bekannt war, die ausländischen Nachrichtendienste wussten es bestimmt.
Ein US-Soldat krönt sich mit dem Aachener Domschatz im Hainer Stollen in Siegen. (Foto Matthias Graben)
Der goßzügige und hervorragende Hainer Bunker war sehr beliebt und bekannt. So war er nicht nur die Rettung vieler Menschen, sondern auch der Schutz für unvorstellbare Kirchenschätze aus dem Rheinland, besonders aus den Domen von Köln und Aachen. Die Stadt Siegen nahm diese Schätze in Obhut. Als die Amerikaner in Siegen einmarschierten, wurde der Oberbürgermeister verdächtigt, gestohlenes Gut aus früher besetzten Gebieten zu sich genommen zu haben. Wer Fißmer gekannt hatte wusste was für eine Empörung dieses in ihm auslöste. Es kam zu einem gewaltigen Wortwechsel. Er verbot sich von einem jungen Mann solche Unterstellung. Schließlich endete die Unterredung damit, dass die Amerikaner eine Wache aufstellten um den Kirchenschatz zu beschützen. In den unruhigen Zeiten hatte man vergessen dem Manne Dankeschön zu sagen, der die Kirchenschätze vor der Vernichtung bewahrt hatte. Bei seinem 80. Geburstag erhielt der Alt Oberbürgermeister neben der Gratulation ein Dankschreiben von dem Kölner Erzbischof Kardinal Frings, wobei dieser den unvergänglichen Verdienst von OB Fißmar um die wertvollen Kirchengüter hervor hob.
Die Stadt Siegen ernannte ihren verdienstvollen Oberbürgermeister 1953 zum Ehrenbürger. Es war eine Auszeichnung mit der man in Siegen sparsam umging. Man konnte ohne Übertreibung sagen, dass Alfred Fißmer in Friedens- sowie in Kriegszeiten ein um Siegen verdienter Verwaltungschef war.
Literaturnachweis:
Westfälische Geschichte: Fißmar, Alfred
Zeitraum Siegen: Alfred Fißmer
Wilhelm Langenbach: Fißmers Bunkerbau rettete Tausende vor Bombentod
WIKIPEDIA: Alfred Fissmer
SIEGERLAND Band 72: Rückführung des Aachener Domschatzes im Jahre 1945
Hainer Stollen Siegen: Hain (Siegen)