Der erste Schulmeister im Kirchspiel Müsen
Man schrieb das Jahr 1627 und Müsen wurde mit den Höfen von Dahlbruch, Schweisfurth, Winterbach, und Merklinghausen von Ferndorf ausgepfarrt und eigene Kirchengemeinde. Dagegen blieb Hillnhütten noch bis 1859 im Kirchspiel Netphen. Es war mitten im 30jährigen Krieg. Auch die Pest wütete in dieser Zeit im Ferndorftal und forderte sehr, sehr viele Opfer. Die Zahl der Toten war so groß, dass man sie nicht mehr alle auf den Kirchfriedhöfen beisetzen konnte. Man genehmigte die Beisetzung auf den eigenen Hausgrundstücken, falls diese groß genug und dazu geeignet waren. Wahrscheinlich war dies mit ein Grund dafür, dass Müsen ein Kirchspiel wurde und einen eigenen Friedhof um die Kirche, die seinerzeit noch eine Kapelle war, bekam.
Schulkinder in Müsen mit ihrer Lehrerin 1908
Der neue Kirchensprengel war nicht groß. Es war weiterhin bekannt, dass Müsen seit uralten Zeiten viele Schätze in den Bergen, aber nur geringen Wohlstand in den Häusern hatte. Das Einkommen des ersten Pfarrers mit Namen Matthias Heuser war nicht groß und bestand fast nur aus Naturalien. Trotzdem konnte man in dieser armen Zeit nicht noch einen Schulmeister zusätzlich entlohnen. So musste also der Pastor auch den Dienst des Lehrers übernehmen. Es war die sogenannte Kirchspielschule, die seinerzeit nicht ungewöhnlich war.
Die Grenzen des Pfarrbezirks waren damals auch die Schulbezirksgrenzen. Um 1750 trennten sich Dahlbruch und die Schweisfurth von Müsen und bildeten den neuen Schulbezirk Dahlbruch. Schule wurde zunächst, da es noch kein Schulgebäude gab, im Hause Stephan in der Hochstraße gehalten. Im Jahre 1824 trat Hillnhütten und 1892 auch die Winterbach, auf eigenen Wunsch, diesem Bezirk bei, und Dahlbruch hatte somit 68 Schulkinder.
Der vierte Müsener Pfarrer Hermann Hambloch hatte von 1659 bis im Jahre 1680 das Kirchen- und Schulamt in Müsen treu verwaltet. Die Einwohner und auch die Schülerzahl hatten sich in dieser Zeit vermehrt, nach dem die Lücken von den Kriegs- und Pestjahren wieder geschlossen waren. Der Seelenhirte konnte die Kinder nicht mehr alle betreuen und musste unbedingt entlastet werden. Viele Verhandlungen über die Anstellung eines Schulmeisters hatten endlich Erfolg.
Die noch einklassige Dahlbrucher Schule im Jahre 1895 mit ihrem Lehrer Köhler
Am 26. Oktober 1680, es war ein trüber Spätsommertag, machten sich einige Müsener Bürger schon in der Frühe auf den Weg, denn sie wollten noch vor Mittag Siegen erreichen. In Begleitung von Pfarrer Hambloch, Tillmann Irlen und Johannes Klein war der als neuer Schulmeister ausgesuchte Jugendliche Martinus Dörr aus ,,Lidphen‘‘. Es ist anzunehmen, dass die Männer den altern Hohlweg durch den Wald an der Grube Brüche vorbei nach Aherhammer und dann nach Aherberg an Bottenbach vorüber nach Siegen wanderten. In Siegen gab man sich gleich auf die Pfarre zum geistlichen Inspektor Casparus Eberhardi. Nachdem man die Angelegenheiten nochmals besprochen hatte, wurden die Vereinbarungen und Aufgaben, die vom Inspektor aufgesetzt waren, von allen unterschrieben. Nachdem man sich im nahen Gasthaus gestärkt hatte, begab man sich wieder auf Heimweg, denn sie wollten noch bei Tageslicht ihr fernes Heimatdörfchen erreichen.
Müsen hatte nun endlich einen Schulmeister, nicht Schuldiener, diese Bezeichnung kam erst später. Wer war dieser Martinus Dörr? Er stammte aus Littfeld und der Krombacher Pfarrer schrieb bei der Geburtseintragung folgendes:
Seite 211 ,,Anno 1661. Litvfe. Anno Esto Mihi Den 24 Februarij friederich Door Margreht eheleut, ein Junge Sohn Zu he Tauff bringe Und tauffen lassen. Zu ge Vatter ersucht, Marti Curts daß Kind - Marti.‘‘
Übung der Freiwilligen Feuerwehr Dahlbruch an ihrer ev. Schule im Jahre 1922
Martinus war also 19 Jahre als er Schulmeister von Müsen wurde. Er war das vierte Kind der Eheleute Dörr, die später noch vier Kinder taufen ließen. Man war nicht so schreibgewandt wie heute und die Pfarrer von Müsen schrieben bei späteren Aufzeichnungen mal Dör, Törr, Thür oder Dörre. Bei der Verhandlung am 26.10.1680 schrieb der Inspektor deutlich Dörr. Martinus unterschrieb mit Dorr. Bestimmt war er so erregt und hatte die ö Strichelchen vergessen. In seiner Jugend war Martinus öfters in Müsen und hier zu jener Zeit kein Unbekannter. Denn der Verkehr zwischen Müsen und Littfeld war seinerzeit viel größer als heute. Vielleicht war er auch nach seiner Schulzeit bei dem Pfarrer in der Schule als Gehilfe tätig.
Die Aufgaben des Schulmeisters waren in der Anstellungsurkunde klar vorgegeben. Wo es heißt: ,, deßen aber soll er die Schul vom Michaelis an biß uff Walpurg halten, auch im Sommer neben dem Sonntags-Vorgesang des dienstags und freytags seine schul halten. ….. die Kinder nicht allein im lesen und schreiben, sondern auch fürnemlich im beten, in ihrem katechismo und allen guten Sitten gebührlich und gründlich zu unterweisen ……‘‘ Die wesentlichen Unterrichtsfächer waren also Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Erziehung in guten Sitten.
Auch die Besoldung war in der Urkunde aufgelistet. In gekürzter Fassung einige Punkte: ,, 5. Die Harbergarbe von Jedem hause wegen des Leutens soll dem Schulmeister bleiben ….. 6. Von Jedem Kinde, das zur Schul geschickt wird, soll der Schulmeister, ..... Jährlichs ein gülden zu gewarten haben …… 7. Von jedem Kinde, so getauft wird, soll der Schulmeister, wie herkommens, zwei albus haben. deßgleichen von Jeder Leich fünf albus, samt dem Leichgelach. 8. Vom armensäcklein umbzutragen soll der Schulmeister haben Jährlich einen gulden: deßgleichen vom glockendienst, wie auch von abschreibung der Kirchenrechnungen..... 9. Jedes Kind von den höfen hat bißher dem Schulmeister eine Karre holz gebracht ... 10. Von Jedem hauß Jährlichs ein Leib brods und zwar welches ungefehr zehen pfund schwer sey ...‘‘ Das Brennholz hatten also die Dahlbrucher und Schweisfurther, die Höüwener wie nan sie damals nannte, zu liefern. Über Güte und Größe der Lieferungen war man immer unterschiedlicher Meinung. Martinus hat sich nie beschwert wie viele andere aus seinem Stand. Der Wandeltisch, Beköstigung im Reihenumgang in den einzelnen Häusern, war also in Müsen seinerzeit nicht üblich.
Die Besoldung war bei Einhaltung der Verträge schon ausreichend. Und so konnte er eine Familie, die er später gründete, recht und schlecht ernähren. Im Sommer hatte Dörr vier Tage in der Woche schulfrei und ging seinem Handwerk nach. Vielleicht hatte er das Schneiderhandwerk erlernt. Sein Amt verrichtete er treu und gewissenhaft und war dem Pfarrer eine gute Hilfe beim Vorgesang in den Gottesdiensten. Es gab somit in Müsen damals noch keine Orgel. Auch das Einsammeln von Gaben ,,armensäcklein umbzutragen‘‘ vollzog er. Martinus hatte, wie in der Verhandlungsurkunde aufgezeichnet, auch das Amt des Küsters und Glöckners inne.
Die Schulmeister waren zu dieser Zeit keine angesehenen Personen, da sie die Kinder von der Arbeit abhielten. Martinus hatte sich aber in wenigen Jahren Achtung erworben und war beliebt. So konnte er ohne Ablehnung, um die Hand der Jungfrau bei der angesehenen Familie Grähe aus Müsen anhalten. 1684 ehelichte der Schulmeister Margrethe Jost von Müsen. Das Kirchbuch sagt uns folgendes darüber:
(182) ,,Anno 1684 Den 13 et 15 Sontag nach Trinitatis sind proclamirt Martin Dör Friedrich Dör von Litphen Ehl Sohn Und Margoretha grähe Jost grähe Von Müßen Ehl Dochter Und den 6 october copolirt worden.‘‘
Als Anno 1693 die Eheleute Dörr ihr viertes Kind Taufen ließen, wurde von der damals üblichen Regel abgewichen, denn es bekam nicht den Namen der Taufpatin. Man gab ihr den Namen Anna Maria den bereits ihr erstes Kind hatte. Das Totenbuch der Kirche gibt uns keine Auskunft ob es in der Zwischenzeit verstorben war. Es war damals üblich mehreren Kindern in der Familie den gleichen Vornamen zu geben.
Im Jahre 1700 wurde ihnen das 6. Kind geschenkt. Es hieß Johannes Dörr und darf einer besonderen Würdigung. Er war von 1719 bis 1750 auch Schulmeister von Müsen und hatte wie sein Vater acht Kinder. Sein ältester Sohn starb 1750 als Schuldiener von Plettenberg.
Einen besonderen Tag erlebte Martinus und die Gemeinde Müsen 1686, denn das neue Schulhaus, welches in Kirchennähe war, wurde bezogen. Es hatte nur einen Raum, der mit drei Tische und drei Bänke für die damals 36 Kinder bestückt war. Da es noch keine Schulpflicht gab, gingen die Kinder längst nicht alle in die Schule. Im April 1688 zog Pastor Hambloch nach fast 30jähriger Seelsorgertätigkeit über den Berg nach Krombach. Es war ein bitterer Abschied nach so langer Verbundenheit.
Alte Schule in Müsen als Wahllokal in der NS-Zeit
Im Alter von 42 Jahren im Jahre 1703 ließ Martinus sein 7. Kind taufen. Im Taufregister der Kirche wird er nicht mehr als Schulmeister erwähnt. Die Gründe, die Martinus veranlassten das Schulamt aufzugeben, sind uns verborgen. Anzumerken ist, dass in diesem Jahr auch der sechste Müsener Pfarrer Johann Hermann Lüdger nach vierzehnjähriger Tätigkeit seinen Dienst beendet und von Müsen wegzieht. Hat dies vielleicht den Rückzug aus seinem Amt beeinflusst. Lüdger war mit Martinus so befreundet, dass er von einem Sohn die Patenschaft übernommen hatte. Nachfolger von Schulmeister Dörr wird 1703 Johann Jacob Bensberger, der zugleich auch hochfürstlicher Schichtmeister der Grube Wildermann war. Johann Jacob ist Schuldiener und verwaltet das Amt bis 1719, um es danach an Johannes Dörr, den Sohn von Martinus, abzutreten.
Martinus wurde nun Kirchenältester und ging seinem Beruf und der Landwirtschaft nach. Anno 1708 stirbt sein 8. Kind, der Sohn Johann Friedrich kurz nach der Taufe. 1716, nach 32jähriger Ehe musste er von seiner Frau Abschied nehmen. Es war eine Erlösung vom langen Siechtum. Anno 1718 heiratete Martinus die Witwe Christina Johann Vetters. Im Jahre 1719, starb sein ältester Sohn Johann Just im alter von 29 Jahren.
Im Jahre 1722 kam die letzte Stunde für Martinus. Das Totenbuch der Kirche sagt uns folgendes darüber:
(I 228) 1722: ,,d. 24t Maij starb der Wohl Ehrsame Martins Dörr als Kirchen Eltester, ein ehrbarer Und friedliebender nachbar. Und Ward d. 26t Maij begraben. Atat 60.‘‘ (Richtig ist 61 Jahre)
Damit wollen auch wir Abschied nehmen von einem liebenswerten Menschen, dem ersten Lehrer vom Kirchspiel Müsen. Wo sind die vielen Menschen die mit Martinus lebten, litten und stritten nur geblieben? Sie ruhen meist im Schatten der ehrwürdigen Müsener Kirche, dem so viele Menschenleiber anvertraut sind.